Aus Liebe zum Spiel

WM 2014

Warnhinweis: Für Mitmenschen, die lieber shoppen („…weil am Spieltag alle Lädchen so schön leer sind…“) – bitte hier nicht weiter lesen! Einkaufszettel checken, viel Spaß!

Uns kribbelt es jedenfalls, wenn die DFB-Nationalmannschaft durch Stadion-Katakomben schreitet, kurz vor dem Länderspiel. Löblich: Bei großen Turnieren rücken unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen zusammen – kullert ein Ball der Größe 5 über wohl getrimmten Rasen drehen die Leute komplett durch. Public Viewing oder Couch-Pilot – Hauptsache: Trikot an, Handy aus, Malzbier kalt (missionarisch zu verstehen). Frauen sind inzwischen als Beisitzerinnen vor Videowall, Flatscreen oder Röhre etabliert – sofern sie nicht in Tupper-Party-Geschwätz verfallen, sondern ernsthaft dem Spielgeschehen folgen (natürlich bei Unterlassung vom Schwelgen über Körperbau der Spieler A, B, C, D E, F, G, H, I, J, K, L, M…, versteht sich).

Glückliche Entwicklung seit der 2006er-WM: Endlich darf man Schwarz-Rot-Gold-Fahnen schwenken, ohne komisch angeguckt zu werden. Alles andere ist lächerlich. Was gar nicht geht: Wenn dumpfbackiges „Sieg!“, aus viel zu vielen Kehlen, durch Tribünen wabert.

Billard kann es nicht, Volleyball nicht, Handball schon etwas mehr – aber Fußball war, ist und bleibt ein Phänomen. Erwachsene mutieren zu Kindern, zu Aliens, wenn gedribbelt, geruppt, geköpft, geholzt, gefoult, gepflügt, gezogen, geliebt, gekämpft, gewonnen oder verloren wird. Unentschieden reicht manchmal – favorisiert man aber im richtigen Leben auch nicht.

Hrubesch, Magath, Fischer, Rummenigge – dynamische Legenden, die brauchten keinen Körperkult. Nicht mal `nen Schnauzer. Heute sind junge, wilde Fußballprofis tätowiert wie Yakuza-Killer – ob die Spieler-Mehrzahl Demut-Potential in sich trägt? Ob es in Ordnung ist, dass schon Mittzwanziger für Jahres umfassende Hege, Pflege, mehr oder weniger gelungene Werbespots und auch fußballerische Taten Millionen kassieren? Ehrlich: Wen juckt das, wenn die Jungs Pott oder Keule nachhause holen? Fußball-resistente Pedanten, die eben vom Einkaufen kommen, über TEURO oder Parkschein-Gigantomanie wehklagen: Setzt euch auf ein Fahrrad! Oder lernt Kicken, so lange es möglich ist, ein Vorbild zu sein. Nichts ist schlimmer als ungelenke Kinder am Ball, ob dicklich oder nicht.

Fußballdeutschland (inklusive vieler Journalisten) erwartet immer die pompöse Blockbuster-Session der Nationalelf. Seit 2006. Immer mit Kabinettstückchen, Zauberei und Torwarttor. In jedem Testspiel 300%. Mit Luft nach oben. Aus dem hässlichen Foul-Sturz wieselflink empor springen und weiter auf den gegnerischen Kasten zu – Abziehen, möge das Tornetz zerfleddern (Klose kann das ja). Zwischendrin: Tiki-Taka-Effizienz, Millionen Augen essen mit. Dass solche Szenen für jedes Spiel nahezu unrealistisch sind, kümmert die wenigsten bierseligen „Bundestrainer“. Übermäßig Alkohol und Sport – müßig darüber zu diskutieren, ob es so sein muss.

Man hat ja nichts, persönlich, vom WM-Titelgewinn – Fußballfan zu sein, bedeutet sich für Andere freuen zu können. Reicht es am Ende zur Trophäe, hat man irgendwie durchaus etwas davon. Sternchennudeln sind lecker – aber das vierte Sternchen am nicht eben spottbilligen DFB-Fan-Trikot wäre Luxus. Ob es diese kleinen, goldgelben Dinger dann zum drauf bügeln gibt? Hoffentlich muss man nicht per Edding nach kritzeln. Das „4.-Sternchen-DFB-Trikot-Update“ wäre zu schön. Nur keinen Druck aufbauen.

Tor-Chancen, die mehr drin sind als vorbei, Wiederentdeckung der geächteten Pieke, launige Trainer-Performances, Strafraumsegler als Varieté-Perlen. So genanntes, vor vielen Spielen beschworenes „Fair Play“ kommt dann und wann auch zum Einsatz. Gewinnen!

Ist man wieder bei Sinnen und guckt zwei Wochen nach WM-Endspiel-Abpfiff ermattet aus dem Fußball-Loch hinauf, drängt sich langsam aber sicher Existentielleres in den individuellen Lebens-Fokus. Was das ist, weiß jeder Fan selbst. Und doch: Das vierte Sternchen würde sich fein machen – da, wo es hingehört.

Schamlos, diese Schwalben – nun gut, es sind nicht allzu viele Super-Slow-Motion-fähige Kameras im Stadion als der Welten Augen präsent. Da kann man durchaus etwas Overacting hinlegen, parallel zum Ausrollen durch fremden Sechzehner. Erwachsene Leute – unglaublich. Wollen nicht alle Spieler Vorbilder sein? Kids schauen zu ihnen auf. Fußball ist auch Kindergarten.

Inszenieren – das tun viele Kicker-Elite-Bübchen. Weise, normal von Joachim Löw, dies seinen Spielern nicht durchgehen zu lassen. Nicht jeder Weltklassespieler ist so fair unterwegs, weint und strampelt völlig grundlos. Und nie ist Mutti oder der große Bruder dabei, wenn man es braucht. Fraglich nur, ob jemals wohl ein Schiri durch bockiges Gezeter wirklich Milde walten lassen wird und seine Entscheidung nochmals überdenkt.

Wir lieben Public Viewing. Wir verrückten Titelanwärter. Und Alles kann mit dem nächsten Spiel dahin, zumindest extrem gedämpft sein. Es macht einfach Spaß. Bis ganz zum Ende durch. Sollte Jogi anrufen und mit Nachnominierung locken: Wir würden ihn nicht hängen lassen.

SCHREIBER’S WM2014-BLÖGGCHEN

16. Juni 2014, Deutschland vs. Portugal
Wie ich es hasse, wenn der seine Klamotten vom Leib reißt und die Mädels betört: Cristiano Ronaldo wird keinen deutschen Pass beantragen – obwohl die DFB-U-12 seine präzise Technik beim Mauer-Zielschiessen verwenden könnte. CR7 ist eine Superfußballer-Marke, bewegt sich im Antritt auch mal grenzenlos, agiert als Schauspielschüler und Weltfußballer in einer Person. Man kann sein Team schlagen.

21. Juni 2014, Deutschland vs. Ghana
Starker Gegner, robustes Spiel, dafür ist Löws Truppe ausgebildet.

26. Juni 2014, Deutschland vs. USA
Löw vs. Klinsmann. Das „Verschieben“ einer Fußball-Partie, denn beiden Teams reichte ein Unentschieden – welch Thema. Natürlich hat die Welt schon manche Seltsamkeit hervorgebracht. Auf dem Rasen sowieso. Und allen Ernstes musste es bei dieser Begegnung für Zeitungsauflagen auch wieder stimmen. Erbärmlich, noch weiter drunter, solch Szenario – denn: In keiner Spiel-Minute waren Anzeichen für irgendwelche Machenschaften zu erkennen. Entweder sind die Schauspielkurse beider Teams total daneben gegangen. Oder: Löw und Klinsmann wollten jeder für sich gewinnen.

30. Juni 2014, Deutschland vs. Algerien
Bei Blutgrätschen, die international schon en vogue sind, darf auch Philipp Lahm mal an der Trikot-Hose des Stürmers ziehen. Die ewige, Nerv tötende Frage nach „verschwundener Leichtigkeit“, dem „Zum-Sieg-Tänzeln“ – Per Mertesacker brachte es, nur wenige Minuten nach Abpfiff, genial-abgekämpft auf den Punkt: „Schön spielen und wieder ausscheiden?“ Wenn es aus Journalisten-Köpfen nicht raus zu kriegen ist – dann vielleicht beim Fußball-User? Ist es Pflicht, dem WM-Titel einzig mit opulenter Ballett-Fiedelei entgegen zu schweben? Jemand hat doch mal gesagt: „Es gibt keine Kleinen mehr.“ Und hielten das nicht alle für wahre Worte?

4. Juli 2014, Deutschland vs. Frankreich
Fast durch, fast. Ein richtig langer Weg. Für Alle. Illusionslos. Die DFB-Elf („mal wieder“) unter den letzten Teams einer Weltmeisterschaft. Kraftspiel – auf Ergebnis. Warum nicht, jetzt, hier? Manuel Neuer hielt mit einer Pranke Bälle, wo andere Keeper drei Schaufeln bräuchten. Torwartprobleme: Wir haben wahrlich andere Sorgen. Z.B.: Reporter-Fragen-Kataloge. Berechnet werden konnte dieser Sieg nicht. Erspielt, erzwungen. Das ganze Team, Trainerstab, Spieler, Backstage, kann das Ziel fokussieren, zweifellos, ab sofort. „Offene Rechnungen“ (etwa seit der WM 1982) sind Quatsch – 2014 agierten hier „die Enkel von Sevilla“. Dass dennoch über „Französische Rache“ gesprochen wurde – niemals wirklich nachvollziehbar. Doch wie immer: Hübsche Schlagzeile, bereit zum Gähnen.

8. Juli 2014, Deutschland vs. Brasilien
Familien-Packung. Mit Rhythmus und auch Leichtigkeit – jedenfalls aus Zuschauersicht. 7:1 – unberechenbar, wie immer im Fußball. Dieses Auspfeifen brasilianischer Fans, gegen ihre Mannschaft – schon ein Statement. Die Menschen dort lieben eben Fußball. Miroslav Klose – wie schön, dass er es einrichten konnte! Netter Abend, aber die Keule steht noch lange nicht zuhause. Manuel Neuer, achtarmig, wollte sein Match zu null gewinnen. Ehrenwert. „Koan Neuer!“, war einst von Ultra-Hirnies zu hören, als dieser Mann ein Bayern-Spieler wurde. Jetzt gilt, absolute Bodenhaftung herzustellen – schwierig genug, selbst wenn „nur“ ein 3:0 erreicht worden wäre. Gegen Brasilien. Halbfinale können sie, die „viel zu braven“ Spieler mit den drei Sternchen.

13. Juli 2014, Deutschland vs. Argentinien
Finale. Durchgebissen – seit zehn Jahren. Die Keule kommt nachhause – das vierte Sternchen landet auf dem DFB-Trikot. Es wurde Zeit. Maschinerie läuft. Kein Elfmeter-Schiessen, wichtig. Riesenbrocken gestemmt – Trainerleistung hoch Elf. Dreiundzwanzig WM-Teilnehmer, gesagt, getan. Joachim Löws Position war dieses Mal verdammt richtig. Neider, Spinner, Möchtegern-Coaches, sie alle haben diese WM verloren. Mit Verletzungen und Schmerzen hat sich das deutsche Team seinen Stern geholt. Egal, ob alle Spieler die Hymne mitsingen. Keiner war zu satt. Schweinsteiger. Einen Dreck auf Leichtigkeit – der Weltmeister-Titel ist erreicht, mit Machen, Malochen, ein bisschen Schönheit auch. Lasst nun die Bilder sprechen.

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