Verneigung

In vergangenen „Wetten dass…?“-Zeiten schuftete mindestens ein emsiger Onlinejournalist akribisch, jahrhundertelang: Stets zu aktueller „Wetten dass…?“-Ausgabe wurde dieser Mensch nimmer müde Gottschalks Moderations-Stil zu sezieren, zu diffamieren. Irgendwo im weiten Show-Reich hatte König Thomas einen Feind – dieser dunkle Ritter war selbstlos. Oder war er es nun doch wieder nicht?

Kurz nach Verhallen unserer Eurovision-Hymne und dem pfiffigen „Wetten dass…?“-Opener konnte man schon jenen Abtrünnigen im Geiste sehen: Wie er kauernd, fröstelnd, fiebernd im schummrigen Versteck (ganz nah dem knisternden TV-Schirm) Gottschalks Begrüßung auseinander nahm, hetzerische Protokoll-Notizen kritzelte. Noch während des Königs Show würde die frischeste Anklageschrift des grummelnden Netz-Chronisten entstehen – seine Schreibmaschine ratterte böse, es wurde heiß. Verschwendete dieser traurige Schurke keinen Sorgenfunken daran, gefasst zu werden? Von Zunder, der Klang seines vernichtenden Pamphlets – und ich freute mich, kein TV-Moderator zu sein.

Nicht, dass seine literarischen Schwerter herzlos geschmiedet, schlecht formuliert ihr Unwesen trieben. Was ja, speziell online, mal vorkam. Nein, er brauchte auch keinen Harnisch, tarnte sich nicht. Wie ich mich entsinne, hatte dieser Onlinejournalist etwas (was nicht allzu viele Netz-User unter Mitteilungsdrang haben) – etwas, was gar nicht so schwer bei uns hinzukriegen ist: Einen Klarnamen.

Pressefreiheit: Famos! Nur schmeckten diese Anti-König-Thomas-Artikel häufig, für mich Knecht ganz persönlich, als wolle der dunkle Ritter unseren König Thomas madig schreiben, untragbar machen, stürzen, um selbst eines Tages den „Wetten dass…?“-Thron zu erklimmen. Wenn Gottschalk mal das Tüdeln ereilte, etwa beim in Fahrt schuppsen eines bunten Namenskarussell unter seinen Gästen – huch, ja, dann war richtig Stress im Block. Nur nicht auf der Gästecouch.

Einige Show-Dekaden später: „Gottschalk Live“ verdampfte. Dieses Format war nicht gerade wie die ultimative Quoten-Burner-Bombe empor gezischt, aber mit Verlaub – dem TV-Pöbel wurde schon viel üblere Unterhaltung zugemutet, gerade hier: „Todeszone Vorabendprogramm“. Und schon blökten, ätzten sie wieder aus ihren Unterschlüpfen – tippende Vasallen des dunklen Ritters: König Thomas könne unser Land nicht moderieren, auch nicht mit neuer Show. Was hatten wir für Sorgen.

Dass ein Entertainer (größtenteils unsachlich bis unqualifiziert) von schäumend daher zwitschernden Legionen runter gefiedelt wird – man kennt es. Fortwährend verwunderlich nur, diese raus gerotzte Energie – könnte man mit ihr bloß heizen.

Wer von uns hat nimmer, ob im on oder im off, live oder live on tape, Irrtümer, Peinlichkeiten, Fettnäpfchen fabriziert? Thomas Gottschalk vermittelt nicht als Unterhändler zwischen verfeindeten Ländern. Der Mann ist TV-Moderator. Medien-historische Erfahrungen hat er gesammelt, geschaffen, gegeben – wir heutigen Netzuser hockten, wenn überhaupt einst schon geboren, wegen 1x Kreuzchen bei „Nein“ auf dem „Willst-du-mit-mir-gehen-Zettelchen“ flennend hinter der Sandkiste.

Heerscharen tumb-aufgeregter Wut-Tipperlinge, ausgestattet mit gewollt listigen Pointen posten anonym, was sie schon immer mal los werden wollten, unter dicker Nickname-Haube – feige. Klarnamen geben sie selten preis. Was genau würden sie denn schon bezahlen – im Online-Deutschland?

Oder: Ob all diese Gehässigen wohl bedauernswerte Ex-Stalking-Opfer sind, die ihre zurückeroberte Intimsphäre schützen müssen, digital-vermummt? Zynisches zu einer Popcorn-TV-Sendung – mehr haben sie der Welt nicht zu sagen? Ohne Maskerade, die eigene Meinung zu äussern – wir können uns diesen Luxus hierzulande leisten.

Wenn mörderische Regime durch mutige und ehrliche Berichte in großes Wanken gebracht werden: Sehr gut. Diese Menschen, die uns informieren, riskieren enorm viel, verwenden sie ihre wahre Identität. Und – das tun so viele, unter echtem Feuer.

Ein zweischneidiges Schwert prüfen, bewerten zu können, welche Augenzeugen authentisch sind. Doch, oftmals gelungen, mit positivem Echo, bereit gestellt auch seitens unserer „Lügenpresse“ – seien wir doch froh, und versetzen wir uns für drei Minuten in die Arbeitssituation zeitgenössischer Berichterstattung. Natürlich sind Bilder manipulationsanfällig. Welches Hirn ist davor gefeit?

Schreibende Freiheitskämpfer, irgendwo – sie bloggen, berichten, fotografieren, sprechen Tatsachen aus. Keine Belanglosigkeiten. Sie wurden, sie werden unmöglich gemacht, bespuckt, verfolgt, gedemütigt, inhaftiert, gefoltert, getötet. Diener der Menschlichkeit mit Klarnamen in, mal wieder, wahnsinnigen Zeiten.
Verneigung.

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